„Wenn Lebendiges mechanisch und umgekehrt, das Mechanische lebendig wird, ist die Wirkung sowohl komisch als auch beängstigend. Die Monsterautomaten sind Metaphern und Projektionsflächen für Ängste und die innerliche Zerrissenheit des Menschen. Sie versuchen, sie zu bannen und zu überwinden. Sie besitzen die erlösende Wirkung einer Katharsis.“
JoHannes Heiner, Dead Chickens & Künstlerischer Leiter Monsterkabinett
Es ist eine Konfrontation mit dem Unbekannten, die Parallelwelten gemeinhin zugrunde gelegt werden. Avanciert sie jedoch zu einer Reise durch Raum und Zeit, deren Station ein gleichermaßen poetisches wie abgründiges Maschinentheater ist, rückt an die Stelle des Unbekannten die Seelenwelt der Betrachtenden, das eigene Innere. An diesem Ausgangspunkt angelangt, sind längst die Türen zum Unheimlichen und Geheimnisvollen geöffnet – zum traumwandlerischen Trip durch das Monsterkabinett.
In einer begehbaren und sinnlich erfahrbaren Rauminstallation, deren kinetische Automaten-Plastiken musikalisch und dramaturgisch in Szene gesetzt sind, entwirft das Monsterkabinett eine Parallelwelt, die zu einer Kunstreise durch Raum und Zeit führt: Im Untergrund des Haus Schwarzenberg, eines der letzten Zentren unabhängiger Kunst und Kultur in Berlin-Mitte, legt das Monsterkabinett kulturgeschichtliche Spuren frei. Es ist eine Kreation der in den 1980er Jahren gegründeten Dead Chickens, Pioniere auf dem Gebiet des Maschinentheaters, deren Werke bisweilen als ein Spiegel authentischen Schaffens und Wirkens zur Berliner Nachwendezeit angesehen werden. Doch weit über eine solche Einordnung hinaus, ist es gerade eine zeitlose Maschinen- und Erfinderkunst, die das Werk der Dead Chickens auszeichnet und damit auf mehreren Ebenen durch Aktualität besticht: Im Monsterkabinett werden erstens Stufen der eigenen Werkgeschichte lesbar, sie ins Hier und Jetzt transferiert. So bildet den Grundbaustein des Kabinetts eine Sammlung kinetischer Plastiken und „Monsterautomaten“ der ehemals mobilen Dead Chickens-Ausstellung „ChiMech – eine Odyssee mechanischer Kreaturen“. Sie wurde für das Ramblas-Projekt der europäischen Kulturhauptstadt Lille 2004 konzipiert. Die Ausstellung umfasste außer einer Monsterkarawane auch die Kreation eines Jacquemart, einer computergesteuerten, elektropneumatischen Spieluhr, die sich, neben weiteren Kreaturen, im Kabinett befindet.
Zweitens zeigt sich ein künstlerisches Wirken, das sich entlang neuer Techniken und Medien bewegt. Der „heruntergekommene Vergnügungspark“, so eine liebevolle Selbstbeschreibung des Monsterkabinetts, operiert vor dem Hintergrund der Animatronik, die beispielsweise in Themenparks oder der Filmindustrie eingesetzt wird. So werden die Besucher:innen Teil eines Vergnügungsparks der besonderen Art. Die skurrilen und zugleich charmanten Monster singen, tanzen, dichten und erzeugen damit nicht nur widersprüchliche Gefühle von Zuneigung, Erschrecken und Faszination, sondern erinnern auch an die surreale Szenerie eines poetischen Fantasy-Films oder an das Eintauchen in die virtuelle Realität eines Computerspiels. Sie regen dazu an, sich mit den Begebenheiten einer medial geprägten Kultur und Gesellschaft auseinanderzusetzen. Sind die Monsterautomaten Metaphern und Projektionsflächen für Ängste und die innerliche Zerrissenheit des Menschen, so begegnen die Betrachtenden dem eigenen Inneren auch in einem gleichermaßen poetischen wie abgründigen Setting allgegenwärtiger Medienkultur.
Damit ist dem Monsterkabinett drittens eine Stärke der Dead Chickens eingeschrieben, ihre Arbeiten in das aktuelle Zeitgeschehen einzubinden. Denn gerade weil sich am Monsterkabinett eine geschichtlich signifikante Linie ablesen lässt, die künstlerische Produktion es aber zugleich vermag, im aktuellen Zeitgeschehen verankert zu sein und sich neu auszurichten, sind die Monster Ausdruck sowohl kulturgeschichtlicher als auch am Zeitgeist operierender künstlerischer Entstehungsprozesse und damit der künstlerischen Innenwelten selbst.
Der traumwandlerische Trip durch das Monsterkabinett führt gleichsam durch ein raumzeitliches Kunstwerk der Dead Chickens, in dem künstlerische, mediale und psychische Welten parallel existieren, um letztlich beim eigenen Inneren zu landen: Die Monster stellen der eigenen inneren Zerrissenheit selbst eine Ambivalenz entgegen; zwischen Zuneigung und Erschrecken entsteht ein befreiendes Lachen und damit jene erlösende Wirkung einer Katharsis. Zwischen eigener Seelenwelt und künstlerischer Innenwelt werden die Betrachtenden selbst zu Voyeuren. Doch bevor zum Ende der „Seelenchor“ des Monsterkabinetts singt, stimmen in den Nachhall eines befreienden Lachens Worte ein: „Treten Sie ein in die Seelenspiegelwelt, vielleicht treffen Sie auf sich selbst?“
Text Vera Fischer